Re-Use für die Grätzlküche
Mit den Materialnomaden unser Herzstück gestalten
Wir haben uns als Verein Vis-à-Wien dem nachhaltigen Bauen verschrieben und stehen immer wieder vor der Herausforderung, gleichzeitig leistbare, wie ökologisch verträgliche Baupraktiken umzusetzen. In Zusammenarbeit mit den Materialnomaden – Expert*innen im Bereich Re-Use – planen wir unter anderem die Gestaltung unserer Grätzlküche-Räumlichkeiten aus größtenteils wiederverwendeten Materialien.
Peter Kneidinger erklärt uns erfolgreiche Re-Use-Prozesse. Foto: VàW/Isa Wolke
Materialnomaden, Re-Use-Profis
Mit den Materialnomaden stehen uns Re-Use-Expert*innen zur Seite. Mit ihrer Unterstützung wollen wir unsere Grätzlküche mit wiederverwendeten Objekten und Materialien ökologisch nachhaltig gestalten und bauen. Unser zweiter gemeinsamer Workshop half uns Herausforderungen und Chancen auf dem Weg zu „unserer“ Küche zu erkennen und zeigte uns Möglichkeiten einer ökologisch verträglichen Baupraxis auf.
Die Grätzlküche als Herz des Hauses
Die Grätzlküche wird nicht nur ein integraler Bestandteil unseres Gebäudes sein, sondern soll auch als lebendiges Stadtteilzentrum dienen, das Gemeinschaft, Nachhaltigkeit und kreative Gestaltung miteinander verbindet. Ihr Zweck erstreckt sich also über die Baugruppe hinaus.
Warum Re-Use?
Bei der Betrachtung des Gesamtgebäudes relativiert sich der Einfluss der Ausstattung auf den ökologischen Fußabdruck; in einer Ökobilanzierung spielt die Einrichtung überhaupt keine Rolle. Der Einsatz von Re-Use schon bei der Tragkonstruktion und im Rohbau hätte zwar den größten ökologischen Hebel, dazu gibt es aber noch kaum Entwicklungen, d.h. solch ein Gebäude ist momentan nicht baubar.
Andrea Kessler & Peter Kneidinger sind die Materialnomaden. Foto: VàW
Im Ausbau hingegen gibt es bereits einige Möglichkeiten zur Wiederverwendung von Bauteilen: Reparkett, ein von den Materialnomanden gemeinsam mit Weitzer entwickelter, zertifizierter Bodenbelag, ermöglicht Einsparungen von bis zu 56 kg CO2 pro Quadratmeter. Im Gesamtgebäude Vis-à-Vis mit seinen ca. 10.000 Quadratmetern Böden (davon 8.000 m² Wohnfläche) wären das schon 560 Tonnen CO2 oder zirka 1000 Flüge von Wien nach New York.
Der Haken an der Sache ist derzeit noch die fehlende Leistbarkeit. Re-Use ist leider aufgrund nachfolgender Faktoren wesentlich teurer als Neukauf:
- die Suche (das “Scouten”)
- die begrenzte Verfügbarkeit und hohe Marktnachfrage
- der Arbeitsaufwand für die Aufbereitung
- aufwändige Transporte (oft von verschiedenen Standorten) und Logistik (oft lange Lagerung)
- fehlende bzw. nachzuholende Zertifizierungen, Qualitätskontrollen und Gewährleistungen
- komplizierterer Wiedereinbau
- etc.
Am Beispiel von Parkett lässt sich auch verdeutlichen, dass ein Umdenken in der Industrie und Baukultur erforderlich ist: So wird Parkett zur Zeit der Einfachheit halber oft auf den Estrich geklebt, was eine Wiederverwendung schwierig macht.
Im Gegensatz zum energieaufwändigem Recycling setzt Re-Use eine Wertschätzung des wiederverwendbaren Objekts oder Materials voraus.
Das Forschungsteam von Klimademo Vis-à-Vis lernt von den Profis. Foto: VàW
Design-Anforderungen
Wir wissen momentan noch nicht, wie und von wem die Grätzlküche und die Räumlichkeiten rundherum genutzt werden. Davon hängt natürlich stark ab, welche Anforderungen wir an ihre Ausstattung stellen müssen – z.B. notwendige Oberflächenbeschaffenheiten, nötige Geräte und Lagerflächen, erforderliche Logistik (z.B. um die ebenso vorhandene Food-Coop zu bedienen). Die Baugruppe gründete vor kurzem die NeigungsGruppe Sharing- und Betriebskonzepte (NG SUB), die sich mit genau solchen Fragen beschäftigen wird.
Abgesehen von der Küchenzeile (Kästen, Oberschränke, Arbeitsplatten, etc. ) und den Geräten gibt es viel Potential zur Verwendung von Re-Use in sonstiger Ausstattung, wie:
- Möblierung: Sessel, Tische, …
- Oberflächen: Wand, Decken, Boden
- Geschirr und Besteck
- Lampen, Leuchtkörper und -mittel
- Schiebetüren zu angrenzenden Räumen
- Blumentöpfe, Pflanzen, Deko
- Garderobe
- Bar/Theke
- Raumteiler, multifunktionale Möbel
Unsere Hoffnungen, passende Materialien zu finden, sind also groß!
Foto: VàW
Zeitplan, re:store und Scouts
Im Workshop entwickelten wir auch einen groben Zeitplan, der sich an einigen Eckdaten orientiert:
Wir planen, dass die Grätzlküche möglichst bei Einzug (Herbst 2025) nutzbar ist, um einerseits uns Bewohner*innen das Kochen während der Wartezeit auf die individuellen Küchen zu ermöglichen und andererseits unser Haus bereits zum Grätzl hin zu öffnen. Dazu ist natürlich ein hoher Grad an Vorfabrikation (z.B. das Umbauen von Fundstücken und Aufbereiten) notwendig, damit die Küche nach Schlüsselübergabe vor Ort nur noch montiert werden muss.
Bis zum Sommer schon müssen wir definieren, was wir konkret aus Re-Use-Materialien machen wollen. Zu einem gewissen Grad werden aber die Fundstücke vorgeben, was wir re-usen können und was wir dazukaufen müssen.
Die Materialnomaden stellten außerdem ihre Plattform re:store vor. Es ist ein Bauteilkatalog, in den man (auch via App) Fundstücke – also potentiell wiederzuverwendende Bauteile – aufnehmen kann. Das Suchen von Bauteilen nennt man Scouting. Die Baugruppe wird eine Handvoll Scouts ernennen, denen die Materialnomaden das Aufnehmen von Bauteilen beibringen werden. Auch konkrete Scouting-Ideen haben sie uns schon mit auf den Weg gegeben.
Unser toller, grober Zeitplan. Foto: VàW
Der Re-Use-Prozess
Die Materialnomaden zeigten uns zu guter Letzt Beispiele von ein paar Projekten, um uns verschiedene Ansätze des Prozesses zu veranschaulichen. In einem Projekt war die Geometrie stark vorgegeben und es wurden Bauteile mit den richtigen Dimensionen gefunden, die nur zusammengesetzt werden mussten. In einem anderen Projekt wurden vorhandene Formate und Funktionen stark umgenutzt und umgebaut: Aus alten Möbeln des Wien-Museums wurde eine multifunktionale Küche – aus Tresen Bänke, aus Ablagen flexible Raumtrenner. Die Geometrie und Nutzung ergibt sich hier in gewissen Maßen aus dem Bestand.
Fazit
Die Zusammenarbeit mit den Materialnomaden bietet uns nicht nur die Möglichkeit, ökologische Aspekte in unsere Baupraxis zu integrieren, sondern zeigt auch, dass Re-Use mehr ist als eine Frage der Nachhaltigkeit. Es ist ein kreativer Prozess, der Werte wie Wertschätzung und Gemeinschaft in den Mittelpunkt stellt und damit einen Weg zu nachhaltigerem Bauen weist.