Wiederbenutzen, weiterbenutzen!
Wie können wir durch Re-Use unsere Räume möglichst klimaschonend einrichten und gestalten?
Wie, wann und wo können wir Re-Use-Materialien in unserem Projekt einsetzen? Zu diesem Thema beraten uns die Materialnomaden und entwickeln gemeinsam mit einer Kleingruppe von Vis-à-Wien die Gestaltung der Grätzlküche mit Re-Use-Materialien. Die Grätzlküche ist eine Gemeinschaftsküche im Erdgeschoß des Baugruppenbauteils – gegenüber dem neuen Aron-Menczer-Campus. Sie soll der Mitbenutzung durch das ganze Grätzl offen stehen und in Verbindung mit dem Multifunktionsraum genutzt werden können. Sie bildet für uns eine wichtige Anknüpfungsstelle an unsere neue Nachbarschaft, soll ein besonders einladender und inspirierender Ort werden und wurde daher ausgewählt gemeinsam mit den Materialnomaden gestaltet zu werden.
Wir durften uns im Lager-und Werkstattbereich der Materialnomaden umschauen. Foto: Vis-à-Wien
Wer sind die Materialnomaden und was tun sie?
Entstanden sind die Materialnomaden im Jahr 2017 aus dem Zusammenschluss zweier Unternehmen: Der Firma Bauteiler GmbH & Co KG mit dem Fokus auf angeleitetes Selbstbauen und dem HarvestMAP, einer eingetragenen Genossenschaft zur Vermittlung wiederverwendbarer Bauteile. Die Materialnomaden bieten Expertise zu Architektur, Stadtplanung, Baudurchführung und Restaurierung sowie Tragwerksplanung und angeleitetem Selbstbau. Ihre Arbeit setzt wichtige Entwicklungsschritte, um kreislauffähige Prozesse in der Baubranche voranzutreiben.
Durch Wiederverwendung oder “Re-Use” weniger Ressourcen zu verschwenden und so klimaverträglicher zu bauen interessiert uns natürlich sehr und daher freuen wir uns darauf, von den Materialnomaden zu lernen und gemeinsam die Grätzlküche zu entwickeln.
Auf ihrer Plattform und dem online-Marktplatz re:store vermitteln die Materialnomaden über die Genossenschaft HarvestMAP eG auch selbst Bauteile und Materialien, die für einen Wiedereinbau und eine Wiederverwendung zur Verfügung stehen. Auch diese Plattform werden wir im Laufe unseres Projekts nutzen.
Auftakt-Workshop
Zum Auftakt-Workshop laden uns die Materialnomaden in ihre Räumlichkeiten auf dem ehemaligen Siemenscampus im 10. Bezirk ein. “Am Kempelenpark” ist eines der größten Zwischennutzungsprojekte der Stadt: Eine Vielzahl an Unternehmen nutzt die ehemaligen Büros und Veranstaltungsräume des Großkonzerns, doch die Materialnomaden stechen hervor: sie nutzen die ehemalige Kegelhalle! Neben ihren Büroarbeitsplätzen und einem Lager für Materialien und Bauteile befindet sich in der Halle die immer noch intakte Kegelbahn und lädt ein, nach getaner Arbeit ein paar Kugeln zu werfen.
Das Ziel des ersten Workshops ist es, die Arbeitsweise der Materialnomaden genauer zu verstehen und die Elemente, die in unserem Projekt in Re-Use ausgeführt werden können, zu definieren. Auch die Umsetzung durch angeleitete Selbstbauworkshops ist eine Möglichkeit, muss aber noch im Laufe des Projekts von der Gruppe genauer definiert werden und ist stark abhängig davon welche Elemente wie gebaut werden sollen. Im Herbst 2021 hatten wir in einem gemeinsamen Gespräch mit einszueins und den Materialnomaden schon einmal das Potential der Wiederverwendung von Bauteilen für das gesamte Gebäude besprochen. Damals stellte sich ziemlich klar heraus, dass die Wiederverwendung im Grundgerüst des Gebäudes von vielen Generalunternehmern noch ausgeschlossen wird und gemeinsam wurde entschieden, sich bei Vis-à-Wien auf das Potential der Innenraumausstattung zu konzentrieren.
Vortrag & Visionsentwicklung
Die Materialnomaden Andrea und Esther geben uns in einem kurzen Vortrag einen Überblick über das Prinzip der kreislauffähigen Verwendung von Baustoffen. Dabei steht nach dem “möglichst lange Verwenden“, das Wiederverwenden vor dem Recyclen. Während beim Recyceln oft das Material selbst transformiert wird, geht es beim Re-Use darum, die einzelnen Komponenten voneinander zu trennen und einer neuen Nutzung zuzuführen. Beim Bauen, wo viel verklebt oder anders dauerhaft miteinander verbunden wird, ist das oft besonders schwierig. Esther beschreibt, dass im Grunde schon im Bauprozess ein Umdenken stattfinden muss, hin zum “design for disassembly“, so dass die Materialien beim Abbruch eines Gebäudes wieder leicht voneinander getrennt und ohne Schäden weiterverwendet werden können. Die beiden beschreiben, dass sie in ihrer Arbeit immer wieder versuchen, geschlossene Türen einzurennen, denn es gibt viele Hindernisse – rechtlicher, materialtechnischer und logistischer Art. Oft fällt bei Baumaterialien das Stichwort der Zertifizierung, welche die Wiederverwendung von Bauteilen verhindert. Ein wichtiger Teil der Arbeit der Materialnomaden ist daher auch der Prototypenbau, um die Wiederverwendung bestimmter Teile sicherzustellen.
Hier schauen wir uns den Prototypen einer Bank an, die aus Fassadenelementen entstanden ist. Foto: Vis-à-Wien
Ein weiterer wichtiger Teil ihres Schaffens ist die Produktaufbereitung. Hier haben die Materialnomaden kürzlich einen großen Erfolg erzielt: Gemeinsam mit Weitzer Parkett entwickelten sie einen Prozess, bei dem altes Parkett aus Gebäuden abgeholt, aufbereitet und dann als Re-Parkett wieder verlegt wird.
Nach dem Vortrag brainstormen wir gemeinsam, wie unsere Vision der Grätzlküche aussieht, welche Nutzung wir uns hier genau vorstellen und was wir mit dem Einsatz von Re-Use-Materialein erzielen wollen. Den meisten Personen aus der Gruppe ist die Verwendung von wiederverwendeten Materialien oder Bauteilen natürlich wichtig, um nicht Neues anschaffen zu müssen und Ressourcen zu schonen. Aber auch der Gedanke etwas Gebrauchtes, etwas mit Geschichte und Patina weiterzuverwenden gefällt vielen, genauso wie das gestalterische Potential der Aufgabe. Und nicht zuletzt soll die Grätzlküche auch ein Ort sein, der nach außen ausstrahlt und Menschen in unser Gebäude einlädt. Es soll also etwas Anziehendes und Individuelles geschaffen werden, was auch die Idee der Wiederverwendung weiterträgt.
Wir schwanken zwischen den Elementen, die sich zur Umsetzung anbieten: Die Möblierung des Sitzbereichs mit multifunktionalen Tischen und Bänken wäre ein tolles Thema, genauso wie eine Schiebe-Trenn- und Verbindungswand zwischen Küche und Multifunktionsraum. Auch der Vorbereich am Platz vor der Küche könnte mit Außenmöbeln einladend gestaltet werden und das Re-Parkett finden alle spannend und würden es sich als Bodenbelag wünschen.
Die Kücheneinrichtung selbst schließen wir zunächst aus, da wir eine möglichst inklusiv nutzbare Küche einbauen möchten und diese viele besondere Anforderungen hat. Als Andrea Kessler, Mitbegründerin der Materialnomaden, aber aufbringt, dass sie durch ihre Online-Plattform Harvestmap auch schon ein paarmal ganze, wenig benutzte Gastroküchen vermittelt haben, klingt das doch auch wieder sehr interessant!
Im Weiteren beschreiben die Materialnomaden wie das Ausfindigmachen und “Ernten” (“Scouten und Harvesten”) von Materialien über Harvestmap abläuft, und es wird klar, dass oft der Zeitfaktor ein sehr entscheidender ist. Je nachdem, wann und wo die Materialien oder Bauteile verfügbar werden, muss schnell reagiert werden. Dann stellt sich aber wiederum die Frage, wo und wie lange die Elemente bis zu ihrem neuen Einsatz gelagert werden können. Diese Unvorhersehbarkeit birgt aber auch Potential und wir beschließen den Prozess ganz offen zu halten: Abhängig von den Bauteilen oder Materialien, die nach dem Scouting-Prozess „geerntet“ werden können, können wir entscheiden, für welchen Bereich wir sie einsetzen wollen. Das Material und die Verfügbarkeit steuern also den Gestaltungsprozess entscheidend mit!
Rundgang
Zum Abschluss führen uns Andrea und Esther nochmal durch die Kegelhalle und das angrenzende Lager sowie den Werkstattbereich. Hier werden Elemente und Materialien für den Prototypenbau gelagert und auch in unseren Köpfen fangen die Ideen an zu sprühen: Könnte man aus diesem Geländer nicht ein neues Blumenbeet machen? Wie toll wäre ein Raumteiler aus ehemaligen Lüftungsgittern? Was passiert mit den vielen verschiedenen Steinplatten?
Wir freuen uns schon auf den zweiten Workshop!
Brauchen wir vielleicht eine lockige Skulptur aus ausrangierten Zugteilen?
Foto: Vis-à-Wien