Forschungs-Blog

Unser Weg zu einem klimaneutralen Gebäude

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Klimaneutrales Bauen verstehen lernen

Visualisieren von Klimabilanzen

Von Transsolar lernen 

Während unserer Exkursion in München waren wir zu Gast beim Unternehmen Transsolar KlimaEngineering. Es war keiner unserer üblichen Best-Practice-Beispiel-Besuche, wo wir uns ansehen, wie andere gebaut haben. Es war nachhaltig wirkende, zum Nachdenken anregende Lernzeit: In einem Vortrag demystifizierte unser Host Markus Krauß in Hochgeschwindigkeit scheinbar komplexe Konzepte über Klimaneutralität. Er stellte eine simple Grafik vor, die im Bruchteil einer Sekunde die Leistung eines Gebäudes während seines Bestehens erkennen lässt. Das ist ein gutes Beispiel für jene Art von Darstellungen, die wir im Laufe unseres Projekts erstellen möchten: greifbare Visualisierungen zum Klimabeitrag unseres Gebäudes.

Vortrag Transsolar

Zu Gast bei Markus Krauß von Transsolar. Foto: Vis-à-Wien

Die Zahlen aufzeichnen 

In der Abbildung beschreibt die vertikale Achse die Klimabelastung in Tonnen von Treibhausgasen (CO₂). Alle Aspekte des Gebäudes werden in dieses CO₂-Äquivalent übersetzt – von der Herstellung der Baumaterialien über den Energieverbrauch der Nutzer*innen bis hin zum Abriss („Cradle to Grave“). Die Flächen oberhalb der x-Achse (in hellbraun) sind die Gesamtmenge an produzierten Emissionen, die Flächen unterhalb der eingesparten.

Ziel ist es, insgesamt, d.h. bis nach dem Lebensende des Gebäudes, auf Null zu kommen,  also Klimaneutralität zu erlangen (oder bestenfalls sogar unter Null), indem man sicherstellt, dass möglichst keine Energie von außen benötigt, dafür umso mehr produziert, bzw. CO₂ gebunden wird.

Wodurch sinkt die Linie ab? Wenn z.B. durch Photovoltaik mehr Energie erzeugt als im Haus verbraucht wird, produziert das Gebäude einen Überschuss (“Plusenergiehaus”).

Wodurch steigt die Linie an? Bau-, Renovierungs- und Abrissarbeiten tragen zu Emissionen bei. In der Nutzungsphase steigt die Linie an, wenn mehr Energie verbraucht als produziert wird – zum Beispiel bei hohem Heizbedarf durch Einsparen von Wärmedämmung. Grundsätzlich ist eine steigende Linie in der Nutzungsphase höchst unerwünscht – sie sollte zumindest horizontal bleiben.

Schemagrafik Klimabilanz C2C

Schema Klimaleistung eines Gebäudes über seinen Lebenszyklus. Grafik: Vis-à-Wien

Die Flächen unter der x-Achse (in grün) ist die vermiedene CO₂-Produktion, das gebundene Kohlendioxid. Wir benötigen diesen Puffer, da der Abriss des Gebäudes am Ende seines Lebenszyklus eine Menge  CO₂ verursachen wird. Um somit ein Nullsummenspiel zu erreichen, müssen diese Emissionen in den Jahren vorher kompensiert worden sein.

Tatsächlich ist der Abriss nicht der einzige Knackpunkt, an den wir denken müssen. Vor dem Einzug werden neue Küchen und Einrichtungsgegenstände geliefert, später fallen individuell Reparaturarbeiten an – von frischer Farbe über Instandsetzung der Beläge. Wie der Bau selbst benötigt Renovierung Ressourcen und Energie. Auch dieser CO2-Ausstoß muss kompensiert werden.

Klimaneutralität – eine Definition mit einer großen Klammer

Diese Abbildung zeigt sehr deutlich: Nehmen wir es genau, ist unser Gebäude nur dann klimaneutral, wenn wir nicht nur die Nutzungsphase unseres Hauses betrachten, sondern auch den Bau und Abbau des Gebäudes einkalkulieren. Bedenkt man nur die Betriebsphase des Gebäudes, werden einige der Schulden gegenüber unserem Planeten aus der Klimarechnung „ausgeklammert“.
Das hat zur Folge, dass wir den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes auf der x-Achse darstellen müssen. „Vergisst“ man die erste Bauphase bzw. bleibt diese in der Rechnung unberücksichtigt,ignoriert man, dass das Gebäude schon beim Einzug eine Hypothek abzuzahlen hat – der sogenannte ökologische Rucksack ist bereits gefüllt.

Forschungsteam in München

Das Forschungsteam unterwegs. Photo: Vis-à-Wien

Wie die Linie fallen lassen ? 

Wir wollen als Gruppe keine geschönte „0“ erreichen. Wir wollen ehrlich und klar unsere Möglichkeiten im Rahmen unseres Budgets definieren. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die wir uns aus diesem Forschungsprojekt erhoffen. Wir fragen uns: Was ist während der Bauphase möglich, z.B. durch die Verwendung lokaler Materialien? Rentiert sich das Ergreifen von Sondermaßnahmen in der Bauphase, verglichen mit den dadurch gewonnenen Einsparungen in der Betriebsphase? 

Während des Vortrags von Markus Krauß wurde uns klar, dass manche Aspekte, die sich auf die Klimabilanz auswirken, außerhalb unseres Einflusses stehen. Die Lage und Richtung des Gebäudes zum Beispiel, oder die Qualität der elektrischen Energie im Netz. Es macht einen Unterschied, ob der Strom durch Wasserkraft oder Kohle erzeugt wird, ob mit erneuerbaren Energien geheizt wird, oder mit Fernwärme und Gas.

Was wir als Baugruppe, als Projektteam beeinflussen können, ist die Optimierung der Nutzung des Gebäudes und das Aufbauen von effizienten Systemen. Während des Baus versuchen wir Holz und andere Materialien mit kleinem ökologischem Fußabdruck zu verwenden. Wir suchen nach passiven Maßnahmen, die uns zu Sonne im Winter und zu einer guten Durchlüftung im Sommer verhelfen.

Alles in allem gilt es, gleich am Anfang Maßnahmen zu setzen, die dem Gebäude gute Voraussetzungen geben und es ihm ermöglichen, auf lange Sicht – im Laufe seines Lebens – CO2-neutral zu werden. Durch den Vortrag erkannten und lernten wir, dass nur die Betrachtung der ersten 20 Jahre Sinn macht. Das ist ein Zeitraum, der mehr oder weniger überschaubar ist. Wir hörten, dass Ansprüche auf Kompensationen basierend auf Szenarien über diese zwei Jahrzehnte hinaus eher unter die Kategorie der „Wahrsagerei“ fielen.

In unseren Nachgesprächen und Diskussionen fanden die Dinge, die wir von Transsolar gelernt hatten, ihren Nachhall. Zum Beispiel fiel die Bemerkung, dass ab sofort bestenfalls gar keine Gebäude mehr abgerissen werden sollten; als Teil einer „Liste dringend vorzunehmender Maßnahmen“, die in einer unserer Debatten aufkam. Wohlgemerkt fand diese Diskussion im Zug statt, nicht am Abendtisch nach einigen Glaserl Wein.

Richard Scheich, Markus Zilker auf Baustelle/Exkursion

Richard Scheich (feld72) und Markus Zilker (einszueins). Photo: Vis-à-Wien

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Markus Zilker von einszueins:

Ich hätte nie gedacht, dass Klimawandel so ein lebensbedrohliches Ausmaß während meiner Lebenszeit ausmachen wird. Ich bin jetzt 47. Besonders die Hitze im Sommer wird wahrscheinlich eine echte Bedrohung darstellen, wenn ich einmal älter bin. Gebäude bedingen dabei immerhin ganze 40% aller CO₂-Emissionen. Aus rein ökologischer Sicht dürften wir also gar keine Gebäude mehr errichten, solange sie nicht CO₂reduzieren. Das impliziert, dass sie aus Materialien wie Holz gebaut werden, das CO₂speichert, statt es zu verursachen.

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Richard Scheich von feld72:

Egal ob Profis oder Bewohner*innen: Wir sind uns alle bewusst, dass die Situation sehr ernst ist und auf allen Ebenen angesprochen werden muss. Wir können nicht einfach sitzen und abwarten, bis die Bauvorschriften angepasst werden. Eine Menge an Aspekten ist miteinander verwoben. Dieselbe Diskussion kommt zum Beispiel auch immer wieder bezüglich dem Parken auf:  Es braucht Zeit, die einfach nicht mehr gegeben ist. Ich bin kein Politiker, aber wenn der Wille da ist, ist viel möglich. Man kann Förderungen als Entscheidung der Gesellschaft betrachten. Eine Stadt wie Wien hat viel Macht, Maßnahmen zu setzen. Niemand kann alleine den Wandel angehen – wir müssen alle gleichzeitig Schritte setzen. 

Excursion Eckdaten:

Date:  05.10.2022

Location:
Transsolar
, München, Deutschland

Guides/Experts:
Markus Krauß, Transsolar